Ein Tanzteppich fürs Off-Theater
Wenn ein Film wie Doris Dörries Berlinale-Beitrag »Kirschblüten« an so spektakulären Drehorten wie dem japanischen Berg Fuji spielt, dann ist das für die Filmcrew ein kleines Abenteuer, das sie nicht so schnell vergisst. Doch auch in Berlin hat »Kirschblüten« Spuren hinterlassen, allerdings ganz anderer Art.

Filminhalt »Kirschblüten - Hanami«
Rudi ist todkrank und weiß nichts davon. Seine Ärzte ziehen nur seine Frau Trudi ins vertrauen und bitten sie, die schlechte Nachricht zu überbringen. Doch sie bring es nicht übers Herz, versucht stattdessen ihren Ehemann zu einem letzten großen Abenteuer zu bewegen: einer Reise nach Japan, Trudis Traumziel. Doch der gemütliche Rudi läßt sich gerade mal dazu bewegen, die Kinder in Berlin zu Besuchen. Der Tripp nach Norden ist allerdings ein Reinfall: Sowohl Klaus (Felix Eitner) als auch Karolin (Birgit Minichmayr) haben sich ihr eigenes Leben hergerichtet und empfinden den Elternbesuch als Störung. Nur Karolins Freundin Franzi (Nadja Uhl) nimmt sich der Eltern an und besucht zusammen mit Trudi eine »Butoh«-Tanzvorstellung im ACUD-Theater. Kurz darauf verläßt das Ehepaar Berlin für einen Kurzurlaub an der Ostsee - aus dem Trudi nicht zurückkehrt. Völlig überraschend stirbt nun sie und läßt Rudi verzweifelt zurück. Erst jetzt begreift er, dass er seine Frau an der Erfüllung ihrer Träume gehindert hat. Franzi berichtet ihm auf der Beerdigung von Trudis größtem Wunsch: Den Ausdruckstanz »Butoh« zu lernen und Japan zu sehen. Rudi kann damit wenig anfangen, doch er wagt es und besucht seinen Sohn Karl (Maximilian Brückner), der in Tokio arbeitet. Nur schwer findet sich Rudi in der fremden Stadt zurecht, bis er eines Tages auf die junge Butoh-Tänzerin Yu (Aya Irizuki) trifft. Sie benutzt den Tanz, um ihre Trauer um die verstorbene Mutter zu verarbeiten. Yu und Rudi freunden sich an und fahren schließlich zum heiligen Berg Fuji. Rudi hat mittlerweile seinen Weg der Trauer um Trudi gefunden: Er besucht für sie alle ihre Traum-Orte. Der Fuji ist seine letzte Station. An seinem Fuße tanzt er noch einmal in Erinnerung an seine Frau, bevor ihn seine Krankheit niederstreckt.
Von der Ostsee bis zum Fuji
So anrührend die Geschichte um den trauernden Rudi ist, so ambitioniert war auch das Filmprojekt. Doris Dörrie scheuchte ihre Schauspieler vom Allgäu, nach Berlin, an die Ostsee und nach Japan. Das klingt nach aufwändigen und kostspieligen Dreharbeiten wie sie sich in der deutschen Filmlandschaft nur für Blockbuster lohnen. Da Dörries Film jedoch eher auf ein Arthouse-Publikum zielte, musste eine Alternative gefunden werden. Und die hieß: »Kleines Team, digitale Technik«, wie es Dörrie selbst knapp formulierte. Gespart wurde bei »Kirschblüten« auch an Catering, Wohnwagen und einem ganzen Tross an Helfern. Das Ergebnis dieser »Lean-Production« kann sich aber durchaus mit aufwändigeren Produktionen messen. Die digitalen Bilder sind stimmig, die Geschichte ist überzeugend und die Schauspieler mitreißend - besonders Elmar Wepper als trauernder Ehemann. Auch die Drehorte, die Ursprünge des ganzen Filmprojekts, können sich sehen lassen. Natürlich überragt der mystische Fuji alle anderen Locations. Dafür hat Dörrie mit dem Drehort ACUD in Berlin ein wahres Kleinod ausgegraben.

Der Tanz in Berlin
Einen Drehtag lang sah es in Berlin gar nicht so aus, als wäre »Kirschblüten« eine schlanke Produktion. Im Gegenteil: Die Schauspieler wurden geradezu umringt von Kameraleute und Mikrofonen. Die gehörten allerdings nicht zum Filmteam, sondern zur geladenen Presse. Im April 2007 durften Journalisten etwas hinter die Kulissen des Drehs gucken und kamen dafür ins ACUD, einem Kunstverein in der Berliner Veteranenstraße. Hier hatten sich alle versammelt: Erfolgsregisseurin Dörrie, ihre beiden Hauptdarsteller, Nadja Uhl alias Franzi und Tadashi Endo, der Butoh-Tänzer. Für viele der Journalisten war es die erste Begegnung mit einem Butoh-Tänzer. Weiß geschminkt präsentierte er sich im Hof des Hauses, das angegraute Haar umwallte in einer wilden Mähne sein Gesicht, die Miene blieb ernst. Was genau Butoh ist, läßt sich nur schwer beschreiben. Endo zeigt es im Film: mal bewegt er sich pantomimisch über die Bühne, mal stürzt er wuchtig auf den Boden, mal tanzt er mit einer unsichtbaren Partnerin. Butoh ist ein sehr unkonventioneller Ausdruckstanz, der in den 1980er Jahren in Japan entstanden ist. Tadashi Endo ist einer der weltweit bekanntesten Butoh-Tänzer, er stand Dörrie bei den Dreharbeiten zur Seite. Sein eigener Auftritt im Film ist nur kurz, doch sein Tanz im ACUD-Theater ist das Highlight für die Filmfigur Trudi.
Ein Teppich als Honorar
Begeistert haben Tanz und Dreh aber auch jemand anders: Felix Goldmann, den Leiter des ACUD-Theater. Die kleine Spielstätte im ersten Stock des ehemaligen Wohnhauses in der Veteranenstraße 21 kann Werbung gut gebrauchen, den sie steht in harter Konkurrenz innerhalb der Berliner Off-Theaterszene. Außerdem war Goldmann als Kreativer schnell als Unterstützer des Films gewonnen. Die wenige Überzeugungsarbeit, die dafür nötig war, hat Szenenbildnerin Bele Schneider übernommen, die den Drehort ACUD in einer Mittagspause entdeckte. »Eine Straßenecke weiter liegt der Laden der Filmfiguren Karolin und Franzi. Für das Theater hatten wir eigentlich schon andere Vorschläge von Location-Scouts,« erinnert sie sich, »aber das ACUD hat mich und alle anderen sofort begeistert.« Das Theater wurde schließlich für einen Drehtag im April 2007 gebucht, über die Miete war man sich schnell einig. Doch bei einer weiteren Begehung stellten die Filmproduktion fest: Es fehlt ein Tanzteppich! Und ohne den dicken, glatten Kunstoffbelag über dem Holzboden der Bühne konnte Tänzer Endo kein Butoh tanzen. »Wir haben dann vorgeschlagen, dass die Filmproduktion den Teppich kauft und dem Theater überlässt,« erzählt Bele Schneider. »Felix Goldmann hat dazu als erstes gesagt: 'Der ist aber teuer!'.« Einverstanden war er trotzdem. Und damit war klar: Das Theater bekommt einen neuen Tanzteppich und die Miete für den Drehort entfällt. »Das ist natürlich toll für uns, denn wir haben öfter Tanzveranstaltungen hier und der fehlende Bodenbelag war immer ein Problem«, sagt Felix Goldmann zufrieden.
In sicheren Händen mit unsicherer Zukunft

Kurz nach der Jahrtausendwende wurden fast alle Bereiche in der Veteranenstraße 21 neu gestaltet. So zog etwa das Kino um und das Theater bekam einen größeren Raum. Doch nicht nur das ACUD hat sich verändert, auch sein Umfeld: Aus vielen ehemals besetzten, heruntergekommenen Häusern in der Nachbarschaft sind gepflegte Eigentumswohnungen geworden. Szene und Kiez vollziehen einen deutlichen Wandel. Theaterleiter Felix Goldmann spricht von einer Übergangsphase. Der Kunstverein ist nicht mehr nur alternativ, aber auch nicht einfach »In«. »Wir wissen nicht, wohin es geht,« sagt Goldmann. Sicher ist hier, wie in ganz Berlin nur eins: Die Veränderung.

Besucher-Info: Der Kunstverein ACUD stellt sich und sein Programm auf der Website www.acud.de umfassend dar.
© Markus Münch 2008. Hinweise zum Nachdruck in der PDF-Version sind unbedingt zu beachten!